Das Innere der Klosterkirche (4/6)
Bei der jüngsten Restaurierung wurde der Kirchenraum nach historischem Befund neu gefasst. Im Kontrast zum ganz leichten Rosa der Wände steht das Grün der Gliederungselemente, das auf den verwendeten Anröchter Sandstein verweist. Die Verglasung der Fenster aus dem Jahre 1960 nimmt dieses Farbspiel auf.
Im „barockarmen“ Kreis Gütersloh nimmt die Rietberger Klosterkirche mit ihrer reichen Ausstattung des 17. und 18. Jh. eine herausragende Stellung ein. In Aufbau und Gliederung weist der 1629 beim Bielefelder Bildhauer Johannes Kotmann in Auftrag gegebene Hochaltar noch Formen der Spätrenaissance auf. Er konnte wie die Seitenaltäre zur Neuweihe 2008 restauriert werden. Aus Stein gefertigt, zeigt er im Hauptbild die Kreuzigung Jesu, flankiert von Figuren der Stifterpatrone, des Evangelisten Johannes und der hl. Katharina von Alexandrien, darüber die Auferstehung, begleitet von den Ordensheiligen Bonaventura (links) und Ludwig von Toulouse. Wohl aus Gründen der Pietät hatten die Franziskaner oberhalb des Stifterwappens von Graf Johann III. und Gräfin Sabina Catharina noch eine Christusfigur mit der Weltkugel (Salvator = Erlöser) anbringen lassen.
Erst nach 1635 sind die ebenfalls steinernen Seitenaltäre entstanden. Sie sind mit dem Allianzwappen des Grafen Ernst Christoph und der Marquise Albertine Maria geschmückt. Der linke Seitenaltar zeigt eine Weihnachtsdarstellung, begleitet von Figuren der Märtyrerinnen Agnes (mit Lamm) und Lucia (mit Schwert). Der Ordensaltar rechts zeigt den Empfang der Wundmale durch Franziskus (Stigmatisierung), dazu den hl. Bernhardin von Siena (mit IHS-Tafel) und Johannes von Kapistran.
Ein zweiteiliges Chorgestühl aus Eichenholz von 1729/30, links zum Hochaltar hin erweitert um die Grafenbank, mit qualitätsvollen Ornamentverzierungen und einem drehbaren Lesepult, gilt als ein herausragendes Werk der Schnitzkunst in Westfalen. Es verleiht dem Mönchschor trotz einiger Verluste noch immer eine barocke Gesamtwirkung von beachtlicher Geschlossenheit. Auf ihnen stehen steinerne Barockfiguren des hl. Franz von Assisi (links) und der hl. Clara von Assisi aus Stein, die wohl um 1700 entstanden sind und zeitweilig auf dem Hochaltar ihren Ort hatten. Am Zugang zur großzügigen Sakristei, deren barockes Schrankwerk im Jahre 1904 durch eine neugotische Einrichtung ersetzt wurde, ist die historische Glocke aus der Kirche St. Anna in Bokel angebracht. Laut Inschrift hatten sie Graf Maximilian Ulrich und Gräfin Maria Ernestine Franziska im Jahre 1732 „umbgiesen“ lassen.
Aus der Zeit des Hochbarock stammt die Kanzel (1698), während die fünf Beichtstühle mit ihren Darstellungen von biblischen Büßern (rechts vom Chor aus: Maria Magdalena, das Gleichnis vom Pharisäer und sündigen Zöllner, König David; links: Petrus, der verlorene Sohn) sehr feingliedrige asymmetrische Formen des Rokoko aus der 2. Hälfte des 18. Jh. zeigen. Die zu Anfang des 20. Jh. entstandenen 14 Stationen des Kreuzweges (Öl auf Leinwand) sind Arbeiten von Eduard Goldkuhle aus Wiedenbrück. Das gemalte Ornamentband des Rundbogens, der den älteren Teil der Kirche mit den beiden Erweiterungsjochen von 1725 verbindet, entstand mit der letzten Einwölbung um 1888/89.
Die 1747 erworbene Orgel stellt sicher das kostbarste Ausstattungsstück der Kirche dar. Anlage und Form des Orgelprospekts legten zunächst eine Zuschreibung an den berühmten Lippstädter Orgelbauer Johann Patroklus Möller nahe. Das Instrument ist jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Werk des Orgelbauers Adolph Cappelmann und des Bildhauers Laurenz Henke, die beide aus Geseke stammen. 1850 wurde die Orgel von Bernhard Speith umgebaut. 1927 erfolgte durch dessen Sohn Johannes Speith die Umstellung von mechanischem Schleif auf pneumatische Kegelladen.
Durch den Klosterbrand 1935 wurde die Klosterorgel u. a. durch eingedrungenes Löschwasser stark in Mitleidenschaft gezogen. In den Jahren 1990/91 konnte das wertvolle Instrument von den Orgelbaumeistern Günther und Ralf Müller unter denkmalpflegerischen Gesichtspunkten umfassend „im Stil der alten Meister restauriert“ werden. Das Werk verfügt heute über 29 Register auf 2 Manualen und einem von unten nicht sichtbaren hinterständigen Pedalwerk. 2008 Pfeifen werden auf Tasten mit Beinauflage und Ebenholz über hölzerne Züge auf Schleifladen rein mechanisch angespielt. Die Registerzüge sind aus erlesenem Ebenholz gedrechselt. Im Zuge dieser jüngsten Gesamtrenovierung wurde auch die historische Farbfassung des Prospektes wiederhergestellt.
Am 17. Dezember 1994 erklang zum 75-jährigen Jubiläum der Rietbergwerke ein Konzert des Ensembles Musica Clarina für Orgel und 2 Trompeten, dessen Programm zuvor auf CD aufgenommen worden war. Im Rahmen einer Reihe von 16 Konzerten führte an diesem Instrument und auch an der Orgel der Stadtpfarrkirche St. Johannes Baptist der Konzertorganist Engelbert Schön 1998/99 das gesamte Orgelwerk von Johann Sebastian Bach auf.
Aus dem früheren Pfortenraum und dem Beichtzimmer entstand 1929 rechts von der Orgelbühne ein erhöhter, im Jahre 1967 zur Marienkapelle umgestalteter Raum, den ein aus verschiedenen Barockschnitzereien des Klosters zusammengefügter Altar schmückt. Die Mitte des Altaraufbaus ziert eine um 1770 entstandene Maria Immakulata des Paderborner Bildhauers Joseph Stratmann in teils originaler Fassung (Inkarnat).